Die wirtschaftlichen Reformen der frühen 1990er Jahre haben Indien auf einen beeindruckenden Wachstumspfad geführt; die Steigerungsraten des indischen Bruttoinlandsprodukts liegen in den letzten Jahren auf ähnlichem Niveau wie die Wachstumsraten Chinas. Gemessen an der Wirtschaftsleistung liegt Indien weltweit an zwölfter Stelle, berechnet zu Kaufkraftparitäten sogar an vierter Position. Dennoch wird die Bedeutung Indiens in der öffentlichen und medialen Wahrnehmung – aber auch von vielen Unternehmen – weiterhin unterschätzt und findet insbesondere im Vergleich zu China relativ wenig Beachtung.
Im „Industrieforum“ kommen diesmal Unternehmen zu Wort, die in unterschiedlicher Weise am indischen Markt präsent sind: Im Projektgeschäft ebenso wie durch flächendeckende Niederlassungen, im Alleingang und über Joint-Ventures, im Produktionsbereich wie im Bereich der wirtschaftsnahen Dienstleistungen. Dadurch entsteht ein buntes Bild eines vielschichtigen Landes.
Ing. Alfred Angerlehner, Geschäftsführender Gesellschafter der gleichnamigen Baugesellschaft, hat im Projektgeschäft in Indien große Erfolge aber auch Durststrecken erlebt. Er verweist darauf, dass für einen Erfolg in Indien ausreichend Zeit und Mittel einzuplanen seien – und die kulturelle Kluft größer sei, als man auf den ersten Blick erkennen könne.
Die Bedeutung der Auseinandersetzung mit indischer Kultur, Denkweise und Verhandlungsführung wird auch von Ing. Jürgen Antonitsch, Mitglied der Geschäftsleitung bei Zizala Lichtsysteme, betont. Der Schritt nach Indien sei als Autozulieferer aufgrund der wachsenden lokalen Produktion notwendig gewesen, um Risiken zu minimieren habe man sich für ein Joint-Venture mit einem indischen Partner entschieden.
Ein innovatives Produkt für den indischen Markt mit seinen 1,1 Milliarden Einwohnern: DI Leonid Delberg, Chairman und CEO von BGS Smartcard Systems, unterstreicht die Chancen die sich daraus ergeben, wenn mit einem maßgeschneiderten Produkt die Schwachstellen in der Infrastruktur durch technologische Innovation überwunden werden; auch BGS setzt dabei auf starke lokale Partner.
Joachim Feiks, Direktor für Strategische Entwicklung bei der Logistik-Gruppe cargo-partner, betont die Bedeutung des persönlichen Kontaktes im indischen Geschäftsleben. Dieser persönliche Kontakt, die großen Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesstaaten und die gewaltige geografische Ausdehnung Indiens sind starke Argumente für eine regionale, dezentrale Präsenz von Unternehmen in Indien.
Wienerberger errichtet derzeit in Indien eine Ziegelfabrik und setzt damit einen ersten Schritt um Positionen in Emerging Markets außerhalb Europas aufzubauen. Ingo Hofmaier, Managing Director von Wienerberger Indien, sieht im bislang ungenutzen Potenzial des Marktes eine riesige Chance und strebt mittelfristig im Süden Indiens eine relevante Marktposition mit flächendeckender Präsenz an.
Der Handelsdelegierte für Indien, Mag. Hans-Jörg Hörtnagl, kann von Rekorden im Außenhandel Österreichs mit Indien berichten und einer (in drei Jahren verdoppelten) Gesamtzahl von 75 Niederlassungen und Joint Ventures österreichischen Unternehmen in Indien. Die hohen Wachstumsraten werde Indien aber nur halten können, wenn die indische Politik für die nötigen Rahmenbedingungen sorgt.
Mag. Waltraut Urban, Mitarbeiterin des Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw), vergleicht Indien und China – und findet viele Unterschiede: Vom stärkeren Bevölkerungswachstum in Indien über die unterschiedlichen wirtschaftlichen Entwicklungsmodelle und Bildungsprofile bis hin zum unterschiedlichen politischen System. Die Zukunft werde aber in einigen Bereichen zu einer Annäherung führen.