Die krisengebeutelten Kärntner Leitbetriebe und die von ihnen abhängigen Dienstleister könnten heuer bis zu 4.000 Beschäftigte verlieren, sagt eine brandneue Studie des Industriewissenschaftlichen Instituts. Trotzdem ist der Wiederaufschwung ohne sie undenkbar. IV-Kärnten-Präsident Petschnig fordert Leitbetriebe-Strategie.
„Die Lage ist ernster als wir befürchtet hatten“, leitete Otmar Petschnig, Präsident der IV Kärnten, die Präsentation der Ergebnisse einer brandneuen Studie*) über Kärntens Leitbetriebe ein. Lediglich elf dieser Schlüsselunternehmen für Kärntens Wirtschaft hätten vor Ausbruch der Krise allein im Bundesland zusammen mit den von ihnen abhängigen Dienstleistern 2,46 Mrd. Euro Wertschöpfung erwirtschaftet, ein Sechstel der Kärntner Wertschöpfung. Innerhalb Österreichs stünden sie sogar für fast das doppelte Volumen, nämlich 4,89 Mrd. Euro. Ebenso beeindruckend lese sich ihr Beitrag zur Beschäftigung im Land. Wieder vor der Krise hätten diese Unternehmen direkt und indirekt in Kärnten 20.200 Personen beschäftigt, also ca. jeden 13. im Bundesland, österreichweit aber sogar 39.200.
Die Tiefe der Krise könne nichts deutlicher machen als die Prognose der elf Leitbetriebe, in diesem Jahr direkt und indirekt bis zu 4.000 Beschäftigungsverhältnisse beenden zu müssen. Das werde einen Wertschöpfungsverlust von bis zu 340 Mio. Euro nach sich ziehen, immerhin 2,53 Prozent der Kärntner Wertschöpfung. Einiges sei deshalb schon auf Bundes- und Landesebene passiert: Haftungen für Unternehmen jeder Größenordnung, Sonderförderungsaktionen etc. Damit sei jedenfalls der kurzfristige Finanzbedarf abgedeckt. Petschnigs Diagnose: „Das wirtschaftspolitische System hat als Krisenfeuerwehr funktioniert!“
Ob das auch für die längerfristige Perspektive gelte, werde sich allerdings noch erweisen. Petschnig verwies hier auf den von der IV auf Bundesebene geforderten Masterplan für Leitbetriebe, der unter anderem eine weitere Arbeitszeitflexibilisierung, umfassende Bildungsreform und qualifizierte Zuwanderung (Sicherstellung der „besten Köpfe und Hände“) sowie konsequente Investitionen in Forschung und Innovation beinhalte. Aber auch auf Landesebene sei die Politik gefordert. Kärnten stehe jetzt an einer wichtigen Weggabelung. Die Budgetmittel würden nicht mehr für das Rundum-Wohlfühlpaket reichen. Dies erfordere klare Prioritäten und Entscheidungen. Petschnig unterstützt daher voll inhaltlich die Pläne der Landesregierung für eine umfassende Verwaltungsreform.
Innovationsförderungen fortsetzen!
Es gehe aber auch darum, Kärntens erfolgreichen Weg als Technologie- und Innovationsstandort fortzusetzen, so Petschnig. Dem Kärntner Wirtschaftsförderungsfonds KWF hier die Mittel zu kürzen oder sie in Gießkannenförderungen für Kleinstbetriebe zu verwässern, wäre fatal. Denn eines zeige die Studie des Industriewissenschaftlichen Instituts ganz deutlich: Während die Investitionen allgemein in der Wirtschaftskrise von 80 Prozent der Leitbetriebe zurückgefahren werden, bleiben die F&E-Ausgaben bei drei Viertel unangetastet. Neun Prozent planen sogar eine antizyklische Steigerung. Forschungs- und Kompetenzzentren würden sich demnach als äußerst krisenresistent erweisen, freut sich der IV-Kärnten-Präsident.
Mittelfristig sieht Petschnig allerdings in der alarmierenden Bevölkerungsentwicklung Kärntens die größte Gefahr für den Industrie- und Innovationsstandort. Wenn die Zahl der 0 bis 15jährigen österreichweit bis 2050 um 4 Prozent zurückgeht, dann tut sie es im selben Zeitraum in Kärnten um 24 Prozent! Dass diese gefährliche Entwicklung aber schon viel früher schlagend wird, beweist die jüngste Synthesis-Lehrlingsprognose, die schon für das Jahr 2013 (also vielleicht mitten im Aufschwung) einen Rückgang der Zahl der 15 bis 19jährigen in Kärnten um 7,8 Prozent gegenüber heute annimmt. Die Sicherung der „besten Köpfe und Hände“ werde daher im Süden Österreichs eine ganz besondere Herausforderung darstellen. Auch wenn sich das Bundesland bei der Bildungsreform und dem weiteren Ausbau der technischen Ausbildungswege besonders hervortue, werde das kaum reichen. Eine Öffnung für qualifizierte Zuwanderung werde wohl besser heute als morgen angegangen. Petschnig nannte in diesem Zusammenhang auch eine Initiative der IV Kärnten, den so genannten Carinthia International Club, der sich professionell um die ausländischen MitarbeiterInnen von Unternehmen aber auch Bildungseinrichtungen kümmert.
Flughafen braucht Linienflüge
Leitbetriebe hätten aber durchaus auch andere „handfeste Anliegen“. Zum Beispiel eine funktionierende Infrastruktur. Da stehe ganz oben auf der Prioritätenliste die Einbindung des Flughafens Klagenfurt in das internationale Linienflugnetz. Der beinahe leichtfertige Verlust des Frankfurtfluges werde hier als echte Katastrophe eingestuft. In Verkennung der wirtschaftlichen Verhältnisse habe man sich zu sehr auf die Akquisition von Billigfluglinien konzentriert. Dann sei natürlich der Ausbau der baltisch-adriatischen Achse der Bahn von wesentlicher Bedeutung für die Weiterentwicklung des Güterverkehrs. Dazu komme die Energie-Infrastruktur, die bessere Gasversorgung (Tauerngasleitung), das 380kV- und 110kV-Netz, schließlich (ganz entscheidend) die Telekom-Glasfasernetze. Ganz prinzipiell sehe die Industrie aber auch massiven Nachholbedarf in der Raumordnung und Infrastrukturentwicklung. Die Reservierung von interkommunalen Industrieflächen und Infrastrukturkorridoren sei weitgehend dem Zufall überlassen bzw. komme über den Vorplanungsstatus nicht hinaus. All das müsse in eine Leitbetriebe-Strategie Kärntens eingehen, über die die IV nun forciert mit der Politik in Dialog treten will. Denn Kärntens Leitbetriebe seien Kärntens Zukunft. Ohne sie werde es keinen Aufschwung geben.
Krise dauert noch zwei Jahre
Danach stellte Studienautor Dr. Herwig Schneider vom Industriewissenschaftlichen Institut weitere Details der Leitbetriebe-Untersuchung vor. Zunächst wies er darauf hin, dass sämtliche der befragten Unternehmen Einbrüche beim Jahresumsatz und Rückgänge beim Auftragsvolumen beklagen würden: 20 Prozent vermuten heuer einen Umsatzrückgang zwischen 1 und 10 Prozent (170 Mio. Euro), 30 Prozent zwischen 11 und 20 Prozent (190 Mio. Euro), ebenfalls 30 Prozent zwischen 21 und 30 Prozent (490 Mio. Euro). Beim Rest sind es über 30 Prozent (260 Mio. Euro), aber bei keinem einzigen Betrieb über 50 Prozent.
Auch die Frage nach der Dauer der Krise beantwortete Schneider aus Sicht der befragten Unternehmen. Die überwiegende Mehrheit (60 Prozent) sind der Meinung, dass die Krise noch die nächsten zwei Jahre andauern werde. In der Liste der wichtigsten gegen die Krise ergriffenen Maßnahmen dominiert laut Schneider der Abbau von Überstunden und Urlaub (55 Prozent), klassische Kostenreduzierung in der Produktion wie Ausschussminimierung oder Optimierung des Einkaufs (36 Prozent), die Reduzierung der Fremdvergabe von Leistungen (36 Prozent), individuelle Arbeitszeitreduktion (36 Prozent), Kurzarbeit (27 Prozent) oder Bildungskarenz (18 Prozent). 18 Prozent kommen aber auch um die Auflösung von Dienstverhältnissen nicht herum. Bei 81 Prozent der Leitbetriebe ist der Abbau von Zeitarbeitern immer wieder ein Thema. Schneider hob aber zuletzt auch positiv hervor, dass drei Viertel der Unternehmen die Zahl der Lehrlinge unverändert lassen wollen.
Erfolgreicher Nischenproduzent
Ing. Erich Dörflinger, Geschäftsführer des Flextronics-Standortes in Althofen, eines Produktentwicklers im Bereich Elektronik, der sich sehr erfolgreich in Nischen wie der Medizintechnik oder Alternativenergie bewegt, die kaum von der Krise betroffen sind, nannte beeindruckende Zahlen. So ist das Unternehmen mit 750 Beschäftigten größter Arbeitgeber im Bezirk. Die Gemeinde Althofen profitiert von 900.000 Euro Kommunalsteuer im Jahr.
Überraschend auch die Details, die Dörflinger zur Ausstrahlung seines Unternehmens in die umliegende Wirtschaft, präsentierte. 250 Zulieferer und Dienstleister in der Region arbeiten für Flextronics, davon 75 im Servicebereich. Mehrere Delegationen von potenziellen Kunden wöchentlich besuchen das Werk. Davon profitiert die regionale Gastronomie und Hotellerie. Allein im September nächtigten Kunden, Lieferanten und Mitarbeiter 160 Mal in umliegenden Hotels und Gasthöfen.
Umso mehr bedauert Dörflinger die schlechte Linien-Fluganbindung über den Flughafen Klagenfurt aber auch den sich verzögernden Ausbau der S37 in die Steiermark. Ein besonderes Anliegen ist ihm schließlich die Erhaltung der überbetrieblichen Lehrwerkstätte, die derzeit 66 Lehrlinge (21 Neuaufnahmen) für Flextronics und sechs andere namhafte Industriebetriebe in Kärnten ausbildet. Die Kosten seien hier allerdings stark gestiegen, weil die Förderungen für überbetriebliche Lehrwerkstätten zurückgefahren wurden.
*) „Leitbetriebe in Kärnten und die Finanz- und Konjunkturkrise“.