Neue Studie: Internationale Leitbetriebe von der Wirtschaftskrise stärker betroffen als angenommen – Negative Auswirkungen auf weit über 100.000 KMU-Zulieferbetriebe befürchtet – Maßnahmenpaket für Leitbetriebe hat oberste Priorität
„Internationale Leitbetriebe waren und sind die Kernsubstanz der österreichischen Volkswirtschaft – auch in Zeiten der Krise!“, erklärte der Generalsekretär der Industriellenvereinigung (IV) Mag. Markus Beyrer heute, Mittwoch, bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Dr. Wolfgang Eder, Vorstandsvorsitzender der voestalpine AG, dem Vorstandsvorsitzenden der Rosenbauer International AG, KommR Julian Wagner, sowie DI Gerhard Wölfel, CEO der BMW Motoren GmbH, und Dr. Herwig Schneider, Geschäftsführer des Industriewissenschaftlichen Institutes (IWI) in Wien.
Wie wichtig diese Unternehmen für den Industrie- und Arbeitsstandort Österreich sind, konnten die Industriellenvereinigung (IV) und das Industriewissenschaftliche Institut (IWI) in den vergangenen Jahren eindrucksvoll belegen. Diese Expertise liegt nun auch zusammengefasst als Buch vor, welches IV-Generalsekretär Beyrer bei der Pressekonferenz der Öffentlichkeit präsentierte. „Ein Kernergebnis unserer zahlreichen Studien ist die Tatsache, dass Leitbetriebe enorme Multiplikatoreffekte in verbundenen Klein- und Mittelbetrieben (KMU) auslösen. So werden durch Leitbetriebe durchschnittlich 2- bis 3-mal mehr an Produktion, Wertschöpfung und Arbeitsplätzen in Österreich geschaffen und gesichert, als direkt in den Leitbetrieben selbst entstehen“, so Beyrer.
Gerade diese so wichtigen Leitbetriebe seien von den Auswirkungen der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise aber ganz besonders stark betroffen, so Beyrer. „Ich möchte daher ausdrücklich davor warnen, die Krise ‚klein zu reden‘ und sie schon jetzt ‚abzusagen‘. Auch wenn die dramatische Abwärtsbewegung der letzten Monate nun gestoppt scheint, dürfen wir nicht vergessen, dass damit nur eine Stabilisierung der Industriekonjunktur auf niedrigstem Niveau erreicht worden ist. Es wird viele Jahre dauern, um – wenn überhaupt – auf den Stand von vor der Krise zurückzukehren!“, sagte der IV-Generalsekretär.
Leitbetriebe von der Krise besonders stark betroffen
Wie sehr internationale Leitbetriebe unter den Auswirkungen der Krise leiden, zeigen nun erstmals die Ergebnisse einer aktuellen Studie des IWI im Auftrag der IV im Detail auf. „97 Prozent unserer Leitbetriebe sind mit teils stark negativen Auswirkungen auf ihre Unternehmen konfrontiert. Sie sind dabei in einem noch stärkeren Ausmaß betroffen, als bisherige Schätzungen befürchten ließen: 42 Prozent der Leitbetriebe geben die Umsatzrückgänge im Jahr 2009 mit mehr als 20 Prozent an“, so Beyrer.
Es gebe allerdings auch positive Nachrichten. Drei Viertel der Großunternehmen halten auch in der Krise ihre F&E-Investitionen und zwei Drittel die Zahl der KMU-Zulieferer konstant. Darüber hinaus bestehe hohe Bereitschaft, insbesondere das F&E-Personal und die Gruppe der Lehrlinge weiter im gleichen Ausmaß zu beschäftigen wie bisher. Dennoch bleibe das Gesamtbild kritisch. „Wenn wir nicht alles unternehmen, um unsere Leitbetriebe bei ihrem Kampf um jeden Arbeitsplatz zu unterstützen, ist unsere gesamte Volkswirtschaft und Gesellschaft davon betroffen. Allein durch die Probleme von 150 Leitbetrieben könnte ein volkswirtschaftlicher Schaden von fast 9 Mrd. Euro pro Jahr an direkter und indirekter Wertschöpfung entstehen“, erklärte der IV-Generalsekretär. Von raschem Aufschwung sei nach den Einschätzungen der Leitbetriebe jedenfalls keine Spur, so Beyrer. Die Unternehmen würden mit einem deutlichen Einbruch von mehreren Jahren rechnen.
Der IV-Masterplan für Leitbetriebe
Wie wichtig die Unterstützung für Leitbetriebe gerade jetzt sei, unterstrich Dr. Wolfgang Eder, Vorstandsvorsitzender der voestalpine AG. „Die enorme Bedeutung der internationalen Leitbetriebe für die österreichische Volkswirtschaft ist unbestritten. So liegt allein die Wertschöpfung der voestalpine in Österreich bei rund 4 Mrd. Euro – und unter Berücksichtigung des Multiplikatoreneffektes beträgt die Wertschöpfung ein Vielfaches davon. Die Politik hat bereits unterstützende Maßnahmen gesetzt, welche von den Unternehmen ausdrücklich begrüßt werden. Dennoch dürfen wir aufgrund der Dramatik der gegenwärtigen Entwicklungen bei der Unterstützung von Leitbetrieben keinesfalls nachlassen“, so Eder, unter dessen Vorsitz ein „Masterplan für Leitbetriebe“ der IV-High-Level Group Leitbetriebe entwickelt wurde. Dieser solle als Richtschnur für die künftige Leitbetriebe-Politik in Österreich fungieren.
„Wir brauchen gerade jetzt ein international sichtbares Maßnahmenpaket für Leitbetriebe, da viele internationale Unternehmen ihre Standortentscheidungen im Lichte der Krise neu überdenken“, betonte Eder. In der Krise prioritär sei die Einrichtung einer hochrangigen „Task Force Leitbetriebe“ im Auftrag der Bundesregierung. Jede standortpolitische Maßnahme müsse darauf geprüft werden, wie sie sich auf Leitbetrieben auswirke („LCU-Check“). Weitere Arbeitszeitflexibilisierung und eine umfassende Bildungsreform müssten durch weitere Investitionen in Forschung und Innovation ergänzt werden. „Auch wenn natürlich jetzt kurzfristige Maßnahmen zur Konjunkturbelebung im Vordergrund stehen und stehen müssen, dürfen wir gerade in der Krise auf Zukunftsinvestitionen nicht vergessen“, betonte Eder. Der Standort brauche umgehend klare Signale zur Stärkung des Innovationsbereiches. Die Anhebung der Forschungsprämie auf 12 Prozent müsse dabei so rasch wie möglich erfolgen.
„Beste Köpfe und Hände“ für innovative Unternehmen Top-Priorität
KommR Julian Wagner, Vorstandsvorsitzende der Rosenbauer International AG, erklärte, Rosenbauer sei als erfolgreicher Technologie-Nischenplayer bisher weniger als andere Unternehmen von der Wirtschaftskrise betroffen gewesen. „Dafür ist natürlich nicht nur die hohe Innovationsorientierung des Unternehmens allein verantwortlich. Wir sind zum überwiegenden Teil von Aufträgen des öffentlichen Sektors abhängig und dem zufolge ‚Spät-Zykliker'“, erklärte Wagner. Die bisherige Entwicklung gebe jedoch „keinen Anlass, sich entspannt zurückzulehnen, im Gegenteil. Der Wettbewerb wird international härter – und noch weiter verstärkt durch die Krise.“ Um die internationale Konkurrenzfähigkeit des Standortes zu erhalten, habe die Sicherstellung der „besten Köpfe und Hände“ für innovative Unternehmen wie Rosenbauer „Top-Priorität. Das Bildungssystem insgesamt steht ebenso wie die qualifizierte Zuwanderung vor dem Hintergrund heute mehr denn je auf dem Prüfstand. Es eröffnet bei entsprechendem Engagement aber auch die größten Chancen für wirtschaftlichen Erfolg und damit nachhaltigen Wohlstand in Österreich“, schloss Wagner.
Laut IWI-Studie sind Leitbetriebe der Bereiche Maschinen & Metallwaren sowie des automotiven Sektors besonders stark von der Krise betroffen, betonte auch DI Gerhard Wölfel, CEO der BMW Motoren GmbH, die mit rund 120 Mio. Euro im Vorjahr fast ein Viertel der F&E-Ausgaben aller 43 Leading Competence Units in Oberösterreich tätigte. Gerade als Standort eines multinationalen Konzerns mit übergreifenden, zentralen Funktionen sei man vermehrt am „Radarschirm“ der Konzernzentrale – „Wir befinden uns permanent auf dem Prüfstand“, so Wölfel. „Die BMW Group setzt auf den Wirtschaftsstandort Österreich mit zwei wichtigen Kompetenzzentren in Steyr, dem größten Motorenwerk des BMW-Konzerns – und das seit nunmehr 30 Jahren.“ Dennoch müsse gerade jetzt die weitere Flexibilisierung insgesamt energisch vorangetrieben werden, „um Beschäftigung auch zukünftig abzusichern – nicht nur in den Leitbetrieben selbst, sondern auch in den unzähligen KMU-Zulieferbetrieben“, betonte Wölfel. So habe man bei BMW gemeinsam mit dem Betriebsrat immer wieder innovative Arbeitszeit-Modelle gestaltet und damit eine Vorreiterrolle eingenommen. „Und warum sollte uns das in Zukunft nicht auch weiterhin gelingen?“
Dr. Herwig Schneider, Leiter des Industriewissenschaftlichen Instituts (IWI), erläuterte den Blickwinkel der Wirtschaftsforschung auf internationale Leitbetriebe. „Wir meinen damit jene Unternehmen, die als Headquarters oder als standortmobile Entscheidungszentralen größerer, multinationaler Unternehmen in Österreich entscheidende Rollen als Arbeitgeber, Kooperationspartner und Auftraggeber für KMU, aber auch als Forschungs- und Entwicklungszentralen inne haben“, so Schneider. Im Hinblick auf ihre enge wirtschaftliche Vernetzung mit KMU, könne man „durchaus von einer Schicksalsgemeinschaft zwischen großen und kleinen Unternehmen sprechen, die in einer Art Symbiose leben und gemeinsam wirtschaften“, erklärte Schneider. Gerade aus der Sicht der vielen KMU-Zulieferbetriebe werde die Zusammenarbeit mit Leitbetrieben besonders geschätzt. Laut IWI-Studie wisse man, dass die Zusammenarbeit mit Großunternehmen häufig die Umsätze und Gewinne von KMU erhöhe, vielfach den Fortbestand der Unternehmenen sichere und die kleineren Unternehmen konkurrenzfähiger mache. „Das Leitmotiv des Standortes lautet demnach: Groß braucht Klein und Klein braucht Groß. Eine integrale Standortpolitik zur Unterstützung von Unternehmensnetzwerken wird daher gerade in der Krise immer wichtiger!“, erklärte Schneider abschließend.
„Von den Leitbetrieben hängt das Schicksal ganzer Regionen – mit ihren KMU, ihren Beschäftigten und ihrer Kaufkraft ab“, erklärte Beyrer. Erfolgreiches Krisenmanagement, ein Ende des Abschwungs und – in späterer Folge – ein Wiederaufschwung könne somit nur über die und mit den heimischen Leitbetrieben stattfinden. „Dies rechtfertigt auch spezielle Überlegungen für unsere Leitbetriebe – das wirkt sich indirekt und positiv auch auf die verbundenen KMU aus, jedoch um bis zu zweimal stärker!“, so der IV-Generalsekretär.